Ich bin über den Berg
Der Text hier berichtet
von einem erklärenden Moment, sagen wir, von einem bronzenen Moment. Bronze
ist eine Legierung zweier an sich weicher Metalle. Heraus steigt aus der
Hitze etwas Drittes, deutlich härter, wunderbar witterungsbeständig,
farblich beeindruckend. Ein Moment wird hier berichtet, der nicht aus dem Geist
heraushüpft, sondern sich auf wirklichen Erreichungen begründet - eine
echtere Erfahrung als diejenige, die spirituell ist. Hart, alltagsfähig,
schönfarbig.
Ich stand an der Kreuzung
in Adventon. Das ist ein Park, etwa dreißig Kilometer hinter Heilbronn. Ich
nahm an einem Kurs teil, in dem wir den Bronzeguss mit einfachen Mitteln
lernten - indem wir es so machten wie die Leute vor dreitausend Jahren
schon. Ich hatte vier Statuetten aus Wachs modelliert, sie mit Ton
eingekleidet, das Wachs ausgeschmolzen, flüssige Bronze in die Tonform
hineingegossen, das glühend Gebrannte mit der Zange aus dem Schmelzofen
geholt, abkühlen lassen, die Tonform zerschlagen und schmutzige
Bronzebabys aus den Trümmern herausgehämmert. In und nun nach diesem
zweitägigen Vorgang gab es stetig Stunden mit Freizeit.
Es war Nacht. Das Wetter
war so mild, dass auch in der Sommernacht sich leicht bekleidet gut im
Freien stehen ließ. Meine Lage war komfortabel: Ich hatte für das
Wochenende alles eingerichtet - Essen und Schlafenkönnen. Es gab keine
Ansprüche an mich in dem Bronzeguss-Kurs: Was da zu tun war, erledigte ich
mit leichter Hand, fühlte mich auch sicher, die Anforderungen meistern zu
können und sie im künstlerischen Bereich sogar zu überbieten.
Ich war deutlich allein.
Wesentlich war, dass in diesem ruhigen Flecken "an einem
der Millionen Enden der Welt" ich gewiss sein konnte, dass um
diese Uhrzeit niemand vorbeikam. Ich hatte den anderen nicht gesagt, wohin
ich verschwunden war, und das war auch okay so - man musste zum Beispiel
zur Toilette vierhundert Meter laufen.
Hier das war einzig mein
Ding. Ich fühlte mich enorm frei. Und in dieser Freiheit geschah das, was
im Film "Matrix 1" am Ende passiert: Müde winkt der Held ab, als die
Matrix-Gestalten auf ihn schießen. Er beachtet nicht mehr die
heranfliegenden Geschoße, sondern lässt die Schützen zerbröseln zu Daten.
Das Spiel innerhalb der Matrix verliert seine Macht über ihn. Er sieht die
Matrix, und indem er sie zu sehen imstande ist, kann er sie in seinem
Sinne abwandeln, zumindest zunächst mal ihren materiellen Anschein
abweisen, soweit er bedrohlich ist.
Das konnte nun, in einem
Schwall von Freiheits-Gefühl, ich: Nicht mehr das Universum "spielte" mit
mir - das ist ja in der Bilanz ein böses Spiel, bei dem ich brüllend
geboren werde - danke - und erbärmlich und ganz sicher sterbe. Ein
Spiel, dessen "Bosheit" nur aus Blindheit bestand - aus blindem Wirken mir
gegenüber. Es gibt kein Schulterzucken des Universums, wenn ich da
mein Leben lebe. Es gibt gar nichts. Das Universum ist eine mechanische
Maschine. Wir können es studieren. Wir scheitern bei allen Studium daran,
die Regeln und Einflüsse des Universums mehr als einen Bruchteil hin zu
dem zu verschieben, was wir wollen.
Da stand nun aber ich und
hatte es mir komfortabel eingerichtet in meinem biologischen Leben. Das
Universum drohte mir nur noch mit dem Tod - aber der wartete in derzeit
unklarer Entfernung. Faktisch war ich recht jung noch und gesund.
Verblüffenderweise hatte ich bei einem wahrlich langen Weg bis hin zum
Stehenkönnen auf dieser Kreuzung in warmer Sommernacht nun noch ein
erhebliches Leben dann vor mir, wenn ich konzentriert die "Basics"
beachtete, wenn ich meinen Weg etwas schmäler ansetzte als während des
Klärens, Forschens, Drängens und schließlich Erreichens.
Ich spiele mit dem
Universum und hatte innerhalb der Menschenwelt hinreichend Struktur,
Inhalt, Schöpfung, Wohlstand gehäuft, hinreichend nun auch
durchgearbeitet, um landen zu können. Um zu wissen, was ich wollte.
Das, was ich nun wusste, dass ich es wollte, waren schon noch einige
parallel zueinander verlaufende Straßen. Es war keine Quintessenz. Es
waren Pfade des Weiterstrebens, gekoppelt mit dem Gefühl, eine Basis zum
Verbleiben auf dem Erreichten ersatzweise errichtet zu haben, falls das
Weiterstreben auf zu viel Widerstreben der Mitwelt - die einen tückischen
Teil des "Universums" ausmachte - stoßen würde. Auch vorbereitet war die
Möglichkeit, dass es bergab ging mit mir: "Fertig machen zur Talfahrt".
Faktisch aber fühlte
ich mich nun fertig da hin gehend, dass ich den komplexen Berg allen
üblichen Lebens überklettert und ausreichend bis übervoll Inhalte für
einen etwas eingeschränkten, für einen kämpferischen Weg meines besonderen
Lebens bereitgestellt hatte.
Das war die weiche
Landung auf meinen besonderen Möglichkeiten, auf meinen ausgeweiteten
persönlichen Bedürfnissen, die aktuell von mir organisiert wurde. Die
nötigen Berührungen zu meinen lieben Mitmenschen gab es derzeit - wie ein leichtes Unterfangen
hatte sich schrittweise eingestellt, was dem Pubertären ein ziemliches
Problem war und erhebliches Stolpern verursacht hatte.
Dabei blieb ich in der
Essenz allein. Denkbar war - es geschieht hier soeben - dass ich im
Nachhinein mich noch kommunizieren konnte, mehr oder weniger. Aber ich
stand außerhalb der Beachtung meiner Mitmenschen bei allem besonderen
Handeln. Beachtet wurde ich im Besonderen verblüffend nett von
Fernstehenden. Die Mitmenschen in Adventon würdigten zum Beispiel meine
Bronzestatuetten. Im Nahbereich wurden später die Metallwesen, die
ich da aus der Schmelze holte, freihämmerte und bis zum Glänzen polierte,
kommentarlos betrachtet, und flott wurde das Thema wieder hin zu Biederem
gewendet.
Ich war einverstanden mit
der Biederkeit der Mitwelt, die mir im Alltag begegnete. Es war
praktisch, dass diese Mitwelt mit einem Zehntel meiner Kapazität, meiner
möglichen Äußerungen, schon zufrieden war und subtil sogar da hin
drängte, dass mein restliches Denken, Schöpfen und auch dann Handeln nicht
existierte. Ich lebte zu neun Zehnteln am Nahraum vorbei. Dem
Fernraum - Menschen, die mich außerhalb meines Alltags irgendwo trafen und
dann auch weiter gingen und keine Allianz mit mir herstellten -
präsentierte ich häppchenweise Produktionen, die mein Nahraum gar nicht
zur Kenntnis nahm und die ich schließlich diesem Nahraum auch nicht mehr
zeigte.
Sechs, sieben, acht und
neun waren hier soeben die Gipfel-Kapitel. Bis einschließlich fünf führte
ich hin zum Gipfel. Von zehn bis zwölf stieg ich bergab.
Die naturfarbenenen Fotos zu den drei Verfremdungen
hier sind das erste, letzte und drittletzte Foto im Bildbericht "Spaziergang" |